Zugegeben, es war eine Provokation, dass wir dieser Tagung zur Schuldenthematik einen Halbsatz aus dem Vaterunser zum Titel gegeben haben. Hat denn das eine mit dem anderen zu tun? Ist unser Wirtschaften, ist unser Umgang mit dem Geld und ist unsere Einstellung zur Welt der Ökonomie zumindest auch geprägt durch unseren „Glauben“, durch die religiösen und weltanschaulichen Dispositionen, die wir mitbringen, individuell und kulturell? Wie kommt es, dass wir auf Schritt und Tritt semantischen und etymologischen Verbindungen zwischen Ökonomie und Religion begegnen: Welchem Glauben hängt der Gläubiger an? Welche Erlösung verheißt der Erlös? Um welche „Werte“ geht es eigentlich in der „Wertedebatte“? Und nicht zuletzt: Welches Bild vom Menschen leitet uns hier und dort?
Andererseits: Leisten wir mit solchen Hinweisen auf Verbindungen zwischen Glaube und Wirtschaft nicht einer Moralisierung wirtschaftlicher und politischer Zusammenhänge Vorschub? Ist nicht die in der westlichen Welt behauptete Emanzipation der Ökonomie und der Politik von den Vorgaben der Religion als wichtige kulturelle Errungenschaft zu verteidigen und gerade im globalen, multireligiösen Horizont zu bewähren?
In der Vorbereitung dieser Tagung haben wir versucht, Erkenntnisschneisen in das Dickicht dieser Zusammenhänge und Spannungen zu bahnen. Zu dritt haben wir die Tagung konzipiert, wenngleich immer begleitet und beraten vom Kuratorium der Forschungsakademie: Wir drei, das waren ein Wirtschaftsrechtler, Martin Quilisch aus Berlin, ein Naturwissenschaftler, Alfred Krabbe aus Stuttgart und ich selber als Theologe und Kirchenmann, damals noch in Hannover. Möglichst konkret wollten wir die Thematik von Ökonomie und Theologie fassen. Und dann war es nicht allein die politische Aktualität der Schuldenfrage, die uns einen Fokus für die verschiedenen Hinsichten auf die Zusammenhänge von Wirtschaft und Religion gab. Mit der Konzentration auf die Frage der Schulden hoffen wir einen roten Faden gefunden zu haben, der uns bei der Komplexität des Themenfeldes auf einem gemeinsamen Denk- und Diskussionsweg leitet.
In drei Schritten haben wir dann anhand der Schuldenthematik Zusammenhänge zwischen Religion und Ökonomie erkundet:
1. Wirtschaftliche und politische Analyse
Da die meisten unter uns allenfalls in der Weise „Wirtschaftsexperten“ sind, wie es auch viele heimliche Fußball Bundestrainer gibt, haben wir uns in einem ersten Schritt unsere ökonomische Situation nach den Krisenerfahrungen der letzten Jahre erklären und analysieren lassen. Eine solche eröffnende Analyse gaben der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Hansjörg Herr und Klaus Dörre, Politikwissenschaftler und Soziologe aus Jena. Verstehen wir eigentlich die Mechanismen der Schuldenwirtschaft? Wie entwickeln sich ein Kapitalismus und eine Finanzwirtschaft ohne Spielregeln und welche Regeln sind nötig und möglich, um seine destruktiven Tendenzen zu bannen? Und wie war das noch mit den „Grenzen des Wachstums“? Sind solche Grenzen auch in einem Wirtschaftssystem zu erkennen und zu respektieren, das genuin und stetig auf Wachstum angelegt ist? Wie hoch dürfen die Schulden eigentlich werden, die eine Volkswirtschaft auf sich nimmt – im Blick auf das Verhältnis von Finanzwirtschaft und Realwirtschaft, wie auch im Blick auf die Schuldenlast, die wir an kommende Generationen vererben?
Einen alternativen Zugang zur Thematik bahnt sodann Martin Quilisch: Mit einem etymologischen und sozialpsychologischen Streifzug durch die Landschaft von Worten, Bedeutungen und Wirkungen im Themenfeld von Religion und Ökonomie gelangt er zu nicht minder herausfordernden Thesen und Fragen für unser Verstehen und Verhalten.
2. Theologische Ökonomie in historischen Beispielen
In einem zweiten Schritt widmen wir uns exemplarisch theologischen Sichtweisen der Ökonomie. Hierzu lieferten drei Mitglieder der Forschungsakademie miteinander korrespondierende Beiträge: zum Alten Testament Hermann Michael Niemann aus Greifswald, zum Neuen Testament Andreas Lindemann aus Bielefeld und zur Kirchengeschichte Jürgen Kampmann aus Tübingen. Weniger erschöpfend enzyklopädisch als vielmehr exemplarisch und konkret werden uns hier biblische und kirchengeschichtliche Umgangsweisen mit der Problematik der Schulden gezeigt. Diskutiert haben wir anschließend in einem Rundgespräch, ob sich von diesen Beispielen her Momente einer jüdisch-christlichen Prägung und Haltung zur Schuldenfrage aufweisen lassen.
3. Zur Religion der Ökonomie
In einem dritten Schritt kehren wir diese Blickrichtung noch einmal um: Sind in den ökonomischen und politischen Bereichen verdeckt oder offen „religiöse“ Haltungen erkennbar und wirksam? Stimmt die verbreitete Rede vom religiösen Charakter des Kapitalismus? Und werden religiöse Erlösungsvorstellungen zu Recht ins Spiel gebracht bei der Frage, wie die moderne Schuldknechtschaft von Einzelnen, Gruppen und ganzen Staaten überwunden werden kann? Hier liefern der Germanist und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch aus Frankfurt/Main und der Ökonom und Wirtschaftsethiker Birger Priddat aus Witten/Herdecke ebenso provozierende wie erhellende Beiträge.
Der auf den Januartagungen regelmäßig vorgesehene „Bericht zur kirchlichen Lage“ war diesmal, thematisch passend, ein Bericht zur kirchlichen Finanzlage. Als wir dazu den Finanzchef der EKD, den aus Magdeburg stammenden Oberkirchenrat Thomas Begrich einluden, ahnten wir nicht, dass das Thema der kirchlichen Finanzen nach dem Limburger Skandal in der Öffentlichkeit derart heiß diskutiert werden würde. Umso interessanter sind nun die Ausführungen des ausgewiesenen evangelischen Fachmanns in diesen Fragen.
Das abschließende Rundgespräch diente der Bündelung und der Diskussion der aufgewiesenen Zusammenhänge und der aufgeworfenen Fragen. Nach einem Gottesdienst, den Kirchenpräsident Joachim Liebig aus Dessau hielt, widmeten sich Fachleute und Auditorium der Frage: Und was lernen wir aus alledem, eine Frage, die dann durchaus auch ethische und praktische Konsequenzen ansprechen kann, die sich aus unseren Einsichten in den Zusammenhang von Glaube und Geld ergeben.
Es ist erfreulich, dass wir die Beiträge zu dieser ungemein aspektreichen Tagung als Beiträge zu dem notwendigen interdisziplinären Gespräch solcher individuell und global bewegenden Fragen in diesem Band einer breiteren Öffentlichkeit vorlegen können.